Die Geschichte der Seide in Asien und Europa
Es dürfte kaum einen anderen Stoff geben, um den sich so viele verschiedene Legenden, Mythen und Geheimnisse ranken wie um die edle Seide. Die Geschichte der Seidenherstellung ist rund 5.000 Jahre alt und hat von chinesischen Kaisern über einen griechischen Philosophen und zwei Mönche bis hin zu europäischen Chemiefabriken alles zu bieten.
Die Geschichte der Seide beginnt in China.
Das Wissen um die Herstellung von Seide ist in China seit gut 5.000 Jahren bekannt. Allerdings gibt es mehrere Legenden dazu, wem diese Entdeckung zuzuschreiben ist. Eine Geschichte nennt Kaiser Fu Xi. Der Kaiser soll ein Instrument erfunden haben, das mit Seidenfäden bespannt war.
Da der Kaiser die Seidenfäden für sein Instrument zu nutzen wusste, soll er auch auf die Idee gekommen sein, aus den Kokons der Seidenraupen Textilien herzustellen. In einer anderen Legende wird die Erfindung der Seide Kaiser Shennong zugeschrieben. Kaiser Shennong wurde als Gott des Ackerbaus verehrt und er soll seinem Volk beigebracht haben, Maulbeerbäume anzubauen und Seide zu gewinnen.
In einer anderen Geschichte heißt es, dass es Xiling war, die das Volk gelehrt hat, Seidenkokons zu nutzen und aus Seide Kleidungsstücke anzufertigen. Xiling war die Gemahlin des Gelben Kaisers Huáng Dì. Und schließlich gibt es noch die Legende über die chinesische Kaiserin Se-ling-schi.
Die Kaiserin soll in ihrem Garten Seidenkokons entdeckt haben. Sie soll auch diejenige gewesen sein, die herausgefunden hat, wie die Seidenraupen gezüchtet und wie aus den Kokons Seidenfäden gesponnen werden können. Dies führte dazu, dass Se-ling-schi zur Schutzherrin und später sogar als Göttin der Seidenraupe verehrt wurde. Unabhängig davon, welche Geschichte stimmt, blieb das Wissen um die Seidengewinnung über 3.000 Jahre lang ein wohl gehütetes Geheimnis. Im fernen Europa machte das die edle Seide noch begehrenswerter und kostbarer.
Während sich die Chinesen nicht unbedingt für Fremde interessierten, war das Interesse umgekehrt groß. Vor allem Luxusgüter wie eben die edlen Seidengewänder waren sehr begehrt. So entstand um 100 vor Christus mit der Seidenstraße der erste Handelsweg zwischen China und Europa.
Der gut 10.000 Kilometer lange Weg führte durch die salzigen Sümpfe Chinas, durch Steinwüsten und Sandberge, vorbei am nördlichen Himalaya nach Byzanz und schließlich nach Rom.
Auch die Griechen und die Römer hatten Seide.
Um 350 vor Christus beschrieb der griechische Philosoph Aristoteles ein Seidengewebe. Diese Seide hieß coisches Gewebe und stammte von der griechischen Insel Kos. Aristoteles wusste zwar, dass eine Seidenraupe der Lieferant für die griechische Seide war.
Er ahnte aber nicht, dass auch die chinesische Seide von einer Seidenraupe stammte. Die Chinaseide war nämlich sehr viel feiner als die griechische Seide. Deshalb wurde vermutet, dass chinesische Seide aus einem feinen, weichen Flaum gewonnen wird, der an einem Baum oder einer Pflanze wächst.
Auch die Römer hatten ihre eigene Seide. Diese Seide hieß Byssus und wurde von einer Steckmuschel aus dem Mittelmeer produziert. Die Muschel lieferte aber nur wenig Seidenfaden. Deshalb war die Seide rar und sehr teuer. Statt ganzer Kleidungsstücke wurden meist nur Verzierungen aus Muschelseide angefertigt. Um trotzdem Seidenkleider tragen zu können, wurde Seide aus China importiert.
Der Preis für ein Kilogramm Seide betrug ein Kilogramm Gold. Dies wiederum bescherte nicht nur den Chinesen, sondern auch den vielen Zwischenhändlern an der Seidenstraße Reichtum und Wohlstand.
Das Geheimnis um die Seidenherstellung wird gelüftet.
Um 200 nach Christus war die Seidenherstellung in China auf ihrem höchsten Niveau. Es wurden klassische Seidenstoffe angefertigt, aber auch transparente Gaze, Seidendamast und Seidenbrokat. Die Stoffe waren aufwändig bestickt oder mit herrlichen Seidenmalereien verziert. Irgendwann stand die Hochzeit der chinesischen Kaisertochter mit dem Fürsten Kothan an.
Da sie in ihrer neuen Heimat nicht auf ihre liebgewonnenen Seidengewänder verzichten wollte, soll sie Samen des Maulbeerbaumes und Eier der Seidenspinnerraupe in ihrer Frisur versteckt haben. So soll der Kaisertochter der Schmuggel gelungen sein, sagt die Legende.
In China stand die Ausfuhr von Maulbeerbaumsamen und Seidenraupeneiern unter Todesstrafe und Jahrtausende lang konnte das Reich der Mitte das Geheimnis wahren. Doch jetzt verbreitete sich das Wissen um die Seidengewinnung von Kothan aus in alle Welt.
Auch darüber, wie die Seidenspinnerraupe ihren Weg nach Europa fand, gibt es viele Legenden. Die bekannteste Geschichte ist, dass zwei Mönche im Jahr 522 nach Byzanz gewandert sein sollen. In ihren Spazierstöcken hatten sie Samen des Maulbeerbaumes und Eier der Seidenraupe versteckt.
Damit war der Grundstein für die Seidenraupensucht und die Seidenherstellung im Mittelmeerraum gelegt. China hatte sein Seidenmonopol verloren, an die Qualität der chinesischen Seide reichte die europäische Seide aber lange Zeit nicht heran.
In Europa wird Seide im großen Stil hergestellt.
Nachdem in Byzanz bekannt geworden war, wie die chinesische Seide hergestellt wird, gelangte das Wissen recht bald auch nach Griechenland und nach Arabien. Im 8. Jahrhundert richteten die Araber Seidenwerkstätten in Spanien ein, wodurch die Spanier ebenfalls in die Seidenherstellung eingeweiht waren. Um 950 lernten dann auch die Italiener von den Arabern, wie Seide gewonnen wird.
Die erste Werkstatt für Seidenstoffe und Seidenkleider entstand in Palermo. Kurz darauf wurden in Lucca und Venedig Seidenwerkstätten gegründet, danach folgten Florenz, Genua, Pisa und Bologna. Das Geschäft mit der Seide verlief überaus erfolgreich und bis in 16. Jahrhundert hinein war Italien in Sachen europäische Seide führend.
Auch die Franzosen importierten Seide aus Italien und Lyon wurde zum wichtigsten Umschlagplatz. Die Nachfrage nach Seide wurde aber immer größer. Deshalb entschied sich Louis XI. dazu, eine eigene Seidenproduktion aufzubauen. Fortan wurde nur noch Rohseide importiert und in Frankreich weiterverarbeitet. Lukrative Angebote lockten Seidenweber aus Italien nach Frankreich.
Eigene Webmuster gab es zunächst nicht, sondern die schönen und aufwändigen Muster aus Italien wurden kopiert. Erst als bessere Webstühle entwickelt wurden, entstanden eigene französische Webmuster. Dies verhalf der französischen Seidenproduktion zu einem enormen Aufschwung.
Die Seidenfärberei legt den Grundstein für die europäische Chemieindustrie.
Die Seidenherstellung in Europa blühte. Doch 1854 gab es einen schweren Rückschlag. In diesem Jahr trat nämlich die sogenannte Fleckenkrankheit auf. Ein Medikament dagegen existierte nicht und so gingen unzählige Tiere ein. Die übrigen Seidenraupen mussten getötet werden, damit sich die Krankheit nicht wieder ausbreitete. In ganz Europa gab es keine einzige Seidenraupe mehr.
Es blieb nichts anderes übrig, als gesunde Tiere aus Asien zu importieren und die Zucht von vorne aufzubauen. Für viele Betriebe bedeutete das aber den Ruin.
Mitte des 19. Jahrhunderts legte die Seidenfärberei jedoch den Grundstein für eine andere Industrie. Bisher wurde die Seide überwiegend mit Pflanzenfarben eingefärbt. William Henry Perkins hatte nun aber einen synthetischen Anilin-Farbstoff entwickelt. In seiner Heimat England fand der Farbstoff keine Abnehmer. Die Seidenfärber in Lyon hingegen rissen ihm den Farbstoff förmlich aus den Händen.
Die violette Farbe Mauvein wurde die Modefarbe schlechthin und die Nachfrage nach neuen Anilin-Farben war enorm. Dies führte dazu, dass verschiedene Fabriken entstanden, beispielsweise die Badische Anilin und Sodafabrik (BASF), die Farbwerke Höchst, die Aktiengesellschaft für Anilinfarben-Fabrikation (AGFA) oder das Chemiewerk CIBA in der Schweiz. Damit war die Seidenfärberei maßgeblich daran beteiligt, dass sich in Europa eine Chemieindustrie entwickeln konnte.
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